09.07.2024
Fussballschule

„Das war noch Fußball2000“

Vier Aufstiege, zwei Pokalsiege, einmal Olympia-Bronze: In der fünften Ausgabe der Rubrik „Im Portrait…“ spricht Fußballschulentrainer und Tradispieler Rudi Bommer über kuriose Spiele und wilde Zeiten am Main.

Redaktion: „Rudi, bevor wir zu deinem sehr bewegten Leben als Spieler und Trainer mit mehr als 1000 Spielen im Profibereich zu sprechen kommen, lass‘ uns über deine aktuelle Tätigkeit bei der Eintracht sprechen. Als Trainer der Fußballschule bist du schon seit 2014 mit an Bord des Trainerteams. Wie ist der Kontakt zur Fußballschule entstanden?“

Rudi: „Der Kontakt kam über „Charly“ zustande, das war im Jahr 2014, rund ein Jahr nach meiner Vertragsauflösung in Cottbus. Karl-Heinz rief mich an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, als Trainer in der Fußballschule anzufangen. Zuerst war ich unentschlossen. Er blieb hartnäckig und überredete sogar meine Frau, ich solle mitmachen. Der Weg führte über Dreieich zur Fußballschule.“

Redaktion: „Du spielst seit einigen Jahren regelmäßig bei der Eintracht Frankfurt Traditionsmannschaft. Was bedeutet dir die Tradi? Was verbindest du damit?“

Rudi: „Ich finde es immer sehr besonders, wenn wir ehemaligen Spieler uns sehen und austauschen können. Da sieht man die ganzen alten Freunde. In Sachen Traditionsmannschaft ist die Eintracht mitunter einer der Vorreiter in Deutschland. Das, was die Tradi im Rahmen der Kampagne „Eintracht in der Region“ oder bei den Benefizspielen macht, ist Basisarbeit.“

Redaktion: „Was kannst du jungen Nachwuchskickern*innen mit auf ihren Weg geben?“

Rudi: „Grundsätzlich kriege ich durch die Camps in der Fußballschule einen sehr guten Eindruck darüber, auf welchem Weg sich der Fußball in Deutschland befindet. Ich würde mir wünschen, dass wir wegkommen von ‘Streicheleinheiten‘ und in der Zweikampfführung einen Zahn zulegen. Kreative Spieler sollen gefördert werden, aber vor allem wünsche ich mir, dass die Trainer, die die Jungs und Mädels trainieren, ihnen vermitteln, was ihre Position ist. Das wir bei den Basics bleiben und auch mehr Spieler den Sprung aus dem NLZ ins Profigeschäft schaffen. Dass es einer von 1000 NLZ-Spielern schafft, ist viel zu wenig.“

Redaktion: „Mit über 400 Spielen in der Bundesliga warst du fast 20 Jahre lang als Spieler in der Bundesliga aktiv. Was war das Kurioseste, was du als Spieler erlebt hast?“

Rudi: „Das war 1986 mit Bayer Uerdingen gegen Dynamo Dresden. Die Mauer stand damals noch, das Spiel hatte eine enorme Brisanz wegen Ost gegen West. Das Hinspiel haben wir 2:0 in Dresden verloren, im Rückspiel lagen wir mit 3:1 zur Halbzeitpause zurück. Die Zuschauer haben teilweise schon das Stadion verlassen, doch im zweiten Durchgang liefen wir den Dresdener Torwart an und schafften das Wunder. Am Ende stand ein historisches 7:3 auf der Anzeigetafel und im Stadion waren mehr Zuschauer als vor Anpfiff. Sie hörten im Auto vom Spielverlauf und kehrten zurück...“

Redaktion: „Kommen wir nun zu deinem persönlichen Werdegang. Hattest du in der Jugendzeit ein (fußballerisches) Vorbild? Wenn ja, wen?“

Rudi: „Ich bin mit Felix Magath großgeworden, er wohnte nicht weit entfernt von uns. Durch ihn lernte ich, gegen ältere zu spielen. Er ist vier Jahre älter als ich. Ich hatte kaum Lieblingsspieler, aber habe mir sehr viel abgeschaut – von jedem Spieler das Beste. So habe ich sehr früh ein gutes Auge entwickelt…“

Redaktion: „In der Jugend bist du aus Aschaffenburg zum OFC gewechselt. Wie kam das zustande?“

Rudi: „Als kleiner Junge war ich mal im Waldstadion. Dort war es mir aber zu ruhig, ich war ein Fan von Action. In Offenbach waren die Fans ruppiger. Ich erinnere mich noch an ein Gastspiel der Schalker in Offenbach. Ich stand bei den Heimfans und feuerte Schalke an – bis ich an den Haaren heruntergezogen wurde. Mein Vater stand neben mir und war als leidenschaftlicher Boxer bereits in Stellung. Letztlich passierte nichts, doch ich fand im Nachhinein schön, wie es da zur Sache ging. So entschied ich mich nach Offenbach zu wechseln.“

Redaktion: „Beim OFC durchliefst du die Abteilungen bis zur A-Jugend. Wie erinnerst du dich an deine Zeit und wie gelang der Sprung zu den Profis?“

Rudi: „Als 17-jähriger wurde ich erstmals Junioren-Nationalspieler gemeinsam mit Ronny Borchers und Klaus Augenthaler. Im selben Alter wollte ich von zuhause weg, die Angebote von den Kickers, Bayern München, Eintracht Frankfurt, Werder Bremen und Fortuna Düsseldorf öffneten mir die Türen dazu. Ich habe sorgfältig abgewogen, wo ich die meisten Einsatzminuten kriegen könnte. Die Entscheidung fiel auf Fortuna Düsseldorf.“

Redaktion: „Was war das für eine Zeit in Düsseldorf. Schließlich wart ihr nicht nur einmal im Finale...“

Rudi: „Mit Fortuna Düsseldorf stand ich dreimal in Folge im Pokalfinale, zweimal ist unser Team als Sieger hervorgegangen. Im Europapokalfinale 1979 gegen Barcelona haben wir nur knapp mit 4:3 gegen Barcelona verloren. Ich erinnere mich sehr gut an meinen Gegenspieler von Barcelona, Johan Neeskens. Damals stand er in der Mitte seiner 30er Jahre, ich war mit 21 noch ziemlich jung. Er war einer meiner härtesten Gegenspieler. Da ging es noch richtig ordentlich zur Sache.“

Redaktion: „In den Folgejahren bist du von Düsseldorf nach Uerdingen gewechselt, 1984 warst du bei der EM in Frankreich dabei…“

Rudi: „1985 bin ich von Düsseldorf zu Uerdingen gewechselt. Zur gleichen Zeit war die Arbeitslosenzahl in Deutschland signifikant hoch. Die Summe durfte eine Million DM nicht überschreiten, also wurde der Wechsel offiziell als 950.000 DM Transfer deklariert. Die restliche Summe zahlte Uerdingen in Raten ab, wodurch die Ablöse auf über 1,1 Millionen DM kletterte. Bei der EM in Frankreich wiederrum war für uns in der Vorrunde gegen Spanien Schluss, sie erzielten kurz vor Schluss das Siegtor. Das war eine sehr anstrengende Zeit für mich, hatte ich doch brutal viele Spiele in den Knochen. Ich habe die Saison mit der EM, der Liga, dem Pokal und der Intertoto Runde quasi durchgespielt…Ich war müde, die Verantwortlichen warfen mir vor, ich hätte keine Lust gehabt, zu spielen. Das stimmte nicht, ich war schlicht und ergreifend erschöpft.“

Redaktion: „Dann kam das Jahr 1988, welches ereignisreich verlief. Mit der Deutschen Nationalelf habt ihr zum Beispiel das erste Mal die Nationalhymne gesungen…“

Rudi: „Anfang des Jahres spielte ich noch für die Nationalelf. Kaiser Franz setzte sich zu der Zeit über die Politik, über Helmut Kohl, hinweg und befahl uns Spielern, die Nationalhymne auswendig zu lernen. Die konnte zu der Zeit keiner, wurde die Hymne nach den schrecklichen Ereignissen im 2. Weltkrieg nicht gesungen. Gemeinsam mit Rudi Völler saß ich die halbe Nacht auf dem Zimmer und lernte die Deutsche Nationalhymne auswendig. Am nächsten Tag standen wir dann auf dem Feld und sangen sie – zum ersten Mal überhaupt.“

Am nächsten Morgen wachte ich auf und da stand sie bereit…meine Tasche.

Rudi Bommer

Redaktion: „Du bist dann von Bayer Uerdingen nach Aschaffenburg gewechselt und anschließend mit zu den Olympischen Spielen nach Südkorea gefahren. Wie lief das ab?“

Rudi: „Zunächst wurde mir gedroht, dass ich nicht zur Olympiade nach Südkorea fliege, wenn ich in die 2. Liga wechsle. Das nahm ich billigend in Kauf, frühzeitig erhielt ich bereits mündlich die Absage für Südkorea. Einen Tag vor Abflug wurde ich aber gegen 18 Uhr angerufen, mit der Bitte, morgen früh um 6 Uhr mit nach Seoul zu fliegen. Ich konnte erstmal nicht glauben was geschah, musste das mit meiner Frau durchgehen – dafür hatte ich mir bis 23 Uhr Zeit verschaffen. Sie forderte mich auf mitzufliegen, denn‚ wenn ich dich jetzt nicht gehen lasse, dann wirst du mir immer einen Vorwurf machen, dich nicht gehen gelassen zu haben…‘ Diesen Satz meiner Frau, in genau diesem Wortlaut, werde ich niemals vergessen. In Südkorea holten wir die Bronzemedaille und wurden anschließend mit dem silbernen Lorbeerblatt geehrt.“

Redaktion: „In Aschaffenburg folgte der Abstieg in die Oberliga, bis du Steppi auf der Tribüne erkannt hast…“

Rudi: „Nach dem Abstieg in die Drittklassigkeit haben wir dreimal pro Woche trainiert. Steppi spielte mit der Eintracht um die Meisterschaft, schaute ab und an in Aschaffenburg vorbei. Düsseldorf erkundigte sich bei mir, ob ich ihnen in der 2. Liga helfen könnte. Ich weiß noch genau, als wir im VIP-Raum über einen möglichen Wechsel zur Fortuna redeten – gleichzeitig nahmen Steppi’s Frau und Steppi selbst das Gespräch mit meiner Frau auf: Er sagte ihr, ‚sie sollte mir die Tasche packen‘. Ich sollte am nächsten Morgen zur Eintracht zum Training erscheinen. Am nächsten Morgen wachte ich auf und da stand sie bereit…meine Tasche. Ich wollte mir das erstmal anschauen, schließlich war ich schon 34 Jahre alt, die Eintracht spielte um die Meisterschaft. Steppi empfing mich mit einem angenehmen ‚Da bist du ja endlich…‘. Nach dem Trauma von Rostock sollte ich derjenige sein, der ab Sommer Andy Möller ersetzen sollte...“

Redaktion: „Warst du im Trainingsrückstand?“

Rudi: „Natürlich ist es ein riesiger Unterschied, ob du dritte oder erste Liga spielst. Da ich Training nachholen musste, ging ich anfangs zusätzlich noch ins Training der A-Jugend. Dort waren „Charly“ Körbel und Reinhard Knobloch als Trainer tätig. Ich machte das für mich selbst, um fitter zu werden.“

Redaktion: „Wie waren die Fans? Das Rostock-Trauma war nur wenige Wochen vor deinem Wechsel zur Eintracht.“

Rudi: „Die Messlatte war sehr hoch. Nach meinem ersten Spiel gegen Dresden habe ich gemerkt, dass ich den Durchbruch geschafft habe. Ich erinnere mich an tolle Spiele – gegen Bayern München erzielte ich ein tolles Tor aus der Ferne – gegen Rapid Bukarest machte ich im Europapokal eines meiner besten Spiele. Ab 1994 wurde es allerdings unruhig im Verein…“

Redaktion: „Nach Stepanovic und Toppmöller kam Heynckes als Trainer. Plötzlich spielte die Eintracht um den Abstieg. Wie war deine Sichtweise?“

Rudi: „Ich erinnere mich gut an ein Spiel, wo nach Abpfiff 5000 Fans auf die Barrikaden gingen. Aus der Kabine wurde ich auserkoren und durfte hochgehen, um mit ihnen zu sprechen. Die Polizei überreichte mir ein Megaphon, ich konnte die Gemüter beruhigen und versicherte den Fans: ‘Wir werden alles daran setzen, in der Liga zu bleiben…‘ Das ist uns am Ende der Saison gelungen.“

Redaktion: „Nach Jupp Heynckes übernahm „Charly“ Körbel das Traineramt im April 1995. Du wurdest sein Co-Trainer.“

Rudi: „Ich wurde nicht nur zum Co-Trainer, sondern ich war spielender Co-Trainer. Quasi auf Stand-by, wenn es eng wurde. Im selben Jahr sind wir mit den Amateuren in die Regionalliga aufgestiegen.“

Redaktion: „Wolltest du am Ende der Spielerkarriere ins Trainergeschäft einsteigen?“

Rudi: „Ich wollte nie Trainer werden. Das habe ich Steppi und Toppi zu verdanken. Die haben mich da reingezogen. Zuerst habe ich meinen Trainerschein gemacht, dann habe ich als Cheftrainer die Amateure übernommen. So ging die Reise los.“

Redaktion: „Als Spieler & Trainer hast du den Fußball in all‘ seinen Facetten kennengelernt. Wie hat sich der Fußball in den letzten Jahren verändert? Was war früher anders?“

Rudi: „Früher konntest du dir als Spieler mehr erlauben, beim Hochspringen in die Luft. Das hat sich verändert, der Spieler wird heutzutage mehr geschützt. Es war früher eher ein Kampfspiel, heute ist Handlungsschnelligkeit insbesondere bei der Ballannahme gefragt. Früher war nicht alles gut, aber auch nicht alles schlecht. Das Gleiche gilt für die heutige Zeit, es ist nicht alles schlecht, aber auch nicht alles gut."

Redaktion: „Rudi, zu guter Letzt die altbekannte Frage, die wir jedem Interviewgast stellen: Was war dein schönster Moment mit Eintracht Frankfurt?“

Rudi: „Unglaublich waren die ganzen Europapokalspiele mit der Eintracht. Wenn ich mich aber für einen besonderen Moment entscheiden müsste, dann dürfte es das Tor 1992 gegen Bayern München gewesen sein. Mit meinem schwachen Fuß schoss ich den Ball in den linken Winkel. Das war noch Fußball2000. Da spürte ich so richtig, dass ich in Frankfurt angekommen bin.“

Redaktion:  „Wir bedanken uns für deine Zeit und die tollen Einblicke.“