02.09.2024
Fussballschule

„Für uns ist das magisch“

Slobodan Komljenovic war sieben Jahre Adlerträger und nahm 1998 an der WM teil. Im Interview spricht der Fußballschulentrainer über Höhen und Tiefen, einen dramatischen Abstieg und historische Euroreisen.

Slobo, du warst von 1990 bis 1997 Adlerträger, EM- und WM-Fahrer für Jugoslawien. Heute engagierst du dich im Rahmen der Fußballschule, allen voran bei den On Tour Camps. Was bedeutet dir die Arbeit mit Kids und Jugendlichen?

Das Arbeiten mit Kindern macht mir am meisten Spaß. Die Kinder sind dankbar, lächeln und freuen sich. Sie befolgen jede Anweisung, die man ihnen gibt und wollen in jeder Sekunde etwas lernen und besser machen. Das ist der große Unterschied zu den Senioren, die nicht immer zuhören wollen (lacht). Deshalb macht mir die Arbeit mit den Kindern und bei den Camps am meisten Spaß.

Seit 2010 verstärkst du das Trainerteam. Wie hat es angefangen? 

Wenn ich mich richtig erinnere, dann entstand das in München im Schwimmbad. Da hatte ich Cezary [Anm. d. Red.: Tobollik] und Thomas Becker zufällig getroffen und denen erzählt, dass wir nach Frankfurt zurückziehen werden. Cezary meinte nur, dass ich ja Tradi spielen könnte. Ich weiß noch ganz genau, dass wir dann mit den letzten Möbelstücken und unserem Sohn, der damals ungefähr sechs Jahre alt war, direkt zu einem Tradispiel nach Hornau gefahren sind. Da habe ich dann zum ersten Mal mitgespielt.

Du sprichst die Tradi an. Was bedeutet dir die Mannschaft? Ihr seid ja eine eingeschworene Truppe.

Wir leben alle in verschiedenen Bereichen, jeder macht sein Ding. Deshalb freue ich mich jedes Mal, wenn wir mit der Tradi unterwegs sind. Da sieht man die ganzen Weggefährten und kann quatschen, aber auch neue Jungs, die nach meiner Zeit aktiv waren, kommen dazu. Der Austausch macht riesigen Spaß. Solange ich laufen kann, bin ich dabei.

Hast du aus all den Jahren einen besonderen Moment mit der Tradi, den du so schnell nicht vergessen wirst?

Einen besonderen Moment gibt es nicht. Besonders sind aber all die Spiele im Rahmen der Kampagne „Eintracht in der Region“, weil so viele Menschen den älteren Herren beim Fußballspielen zuschauen. Für uns ehemalige Spieler ist das magisch. Aber einen speziellen Moment mit der Tradi habe ich nicht.

Du warst Nationalspieler Jugoslawiens und bist 1998 mit zur WM nach Frankreich gefahren. In der Gruppenphase seid ihr auf den Iran, Deutschland und die USA getroffen. Als Innenverteidiger warst du gleich zweifach erfolgreich, gegen die USA hast du das Siegtor gemacht, gegen die Niederlande im Achtelfinale den Ausgleich – am Ende reichte es aber knapp nicht, ihr seid nach einem 1:2 kurz vor Schluss ausgeschieden. Wie sind deine Erinnerungen an deine Mitspieler und dieses Turnier?

Das ist eine etwas längere Geschichte, denn ich war damals eine Art „Experiment“. Ich war der erste Spieler in der Geschichte der Nationalmannschaft, der nie im eigenen Land gespielt hat. Nach den Sanktionen der Nationalmannschaft nach dem Balkankrieg wurde ich eingeladen und durfte direkt mit nach Südamerika fliegen. Meine ersten zwei Länderspiele waren gegen Brasilien und Argentinien. Ich denke, ich habe mich nicht so schlecht angestellt, denn ich war auch bei den nächsten Spielen dabei. Dann kam aber leider der Abstieg mit der Eintracht dazwischen.

Als Zweitligaspieler sind deine Chancen sicherlich nicht gestiegen.

Zweitligaspieler waren in einer Nationalmannschaft, die mit Weltstars [u.a. Predrag Mijatovic, Sinisa Mihajlovic, Dragan Stojkovic, Dejan Savicevic; Anm. d. Red.] gespickt war, nicht so gern gesehen. Dann war ich aus der Nationalelf raus. Von der Eintracht führte der Weg nach Duisburg zurück in die Bundesliga, in der ich mich durchsetzen konnte und wieder Nationalspieler wurde. Kurz vor der WM 1998 wurde ich zu einem Testspiel gegen Nigeria eingeladen, in dem ich beim 0:0-Halbzeitstand eingewechselt wurde. Am Ende siegten wir 3:0, wenige Tage später stand ich im WM-Aufgebot.

Du durftest somit die WM 1998 spielen. 

Persönlich hatte ich keine Ansprüche, denn die Mannschaft spielte, die in der Quali gespielt hat. Gegen den Iran saß ich im ersten Gruppenspiel auf der Bank, aber der rechte Verteidiger Zoran Mirkovic verletzte sich. Im zweiten Spiel gegen Deutschland startete ich, da haben wir nach 2:0-Führung leider „nur“ 2:2 gespielt. Im dritten Spiel traten wir gegen die USA an, dort habe ich einen abgefälschten Freistoß eingeköpft. Das Spiel haben wir gewonnen und sind als Tabellenzweiter ins Achtelfinale gekommen.

Dort ging es gegen die Niederlande.

Mirkovic war wieder fit, also ging ich davon aus, dass er auch spielen wird. Genauso kam es, doch der Trainer setzte mich auf die linke Außenbahn, womit ich nicht gerechnet habe. Nach einer grottenschlechten ersten Halbzeit habe ich das 1:1 eingeköpft, wir verschossen bei dem Stand sogar einen Elfmeter. Dann war es Edgar Davids in der 92. Minute, der das Siegtor für Oranje erzielte. Damit waren wir raus.

Zwei Jahre später standest du im Aufgebot zur EM in Belgien und den Niederlanden, wo du im Spiel gegen Spanien ebenfalls einen Treffer beisteuern konntest. Wie erinnerst du dich an die EM?

Kurios war das Spiel gegen Spanien. Wir haben dreimal geführt, auch in Unterzahl und haben am Ende 3:4 verloren. Die Norweger haben auf dem anderen Platz auf unser Ergebnis gewartet, wären bei einem Unentschieden oder Sieg von uns weiter, die Spanier mussten gewinnen. Nach Spaniens Siegtor in der 98. Minute sind wir dann mit den Spaniern weitergekommen, die Norweger waren raus. Das hat für Turbulenzen gesorgt.

Welches der beiden Turniere ist dir mehr in Erinnerung geblieben und warum?

Definitiv war die WM das bessere und schönere Turnier, diese Erfahrung kann mir keiner nehmen. Was man da mitmacht ist die schönste Erfahrung, die ein Fußballer machen kann.

Als Sohn jugoslawischer (serbisch-montenegrinischer) Eltern bist du in den 70er Jahren in Frankfurt geboren und in Griesheim aufgewachsen. Wie bist du an den Fußball gekommen? In welchem Alter hattest du deine ersten Berührungspunkte?

Ungefähr mit fünf Jahren bin ich meinem älteren Cousin zur SG Griesheim hinterhergelaufen und habe dort mittrainiert. In dem Alter war ich ein, zwei Mal die Woche abends weg. Mein Vater musste schauen, was ich gemacht habe. Er ist mir hinterhergelaufen und hat gesehen, wie ich trainiert habe. Beim nächsten Training ist er mitgekommen, hat gesagt: „Ihr trainiert nicht gut“ und hat sich dann als Trainer zur Verfügung gestellt. Bis zur B-Jugend hat er mich trainiert.

In deiner Jugendphase bist du erst aus Griesheim zur SG 01 Hoechst, dann mit 19 Jahren zu den Amateuren der Eintracht gewechselt. Wie ist der Kontakt zur Eintracht entstanden?

In meinem ersten Seniorenjahr habe ich Oberliga [damals dritthöchste Spielklasse; Anm. d. Red.] bei der SG Hoechst gespielt. Die Eintracht hatte schon Interesse bekundet, aber ich wollte noch ein Jahr bleiben. Doch Stepi kam dazwischen. Er war Trainer bei Rot-Weiß Frankfurt und hat bei Hoechst angerufen. Die haben mich dann in die zweite Mannschaft gesteckt, damit ich ja nicht wechsle. Ich spielte auf sämtlichen Hartplätzen in der Kreisliga, doch mir wurde es zu viel. Ich habe Klaus Gerster, den damaligen Manager der Eintracht, angerufen und ihn gefragt, ob noch Interesse besteht. Wir waren uns schnell einig. So ging es zunächst zu den Amateuren in die Oberliga.

In diesem Spiel haben wir gekämpft und sind über uns hinausgewachsen.

Slobodan Komljenovic über das Auswärtsspiel in La Coruna im Dezember 1993.

Du hast dann knapp drei Jahre für die Amateure gespielt, hast in 75 Spielen acht Treffer erzielt. Am 7. November 1992 hast du dein Debüt für die erste Mannschaft im Pokal gegen den VfL Osnabrück gegeben, zwei Wochen später deine Bundesliga-Premiere für die Eintracht gegen Schalke 04. Wie hast du den Durchbruch geschafft? Wurde Stepi auf dich durch deine guten Leistungen bei den Amateuren aufmerksam?

Jörg Berger hat mich ab und zu immer mal dazugeholt. Berger wurde dann zwar gefeuert, aber Stepi übernahm und gab mir im November die Chance. In den ersten beiden Jahren bin ich mitgefahren, da gab es noch die 16er-Kader. Ich war aber immer der 17te, weshalb ich ohne Einsätze wieder heimgefahren bin und sonntags in der Oberliga spielte. Dann war es plötzlich wie von 0 auf 100. Erst das Debüt gegen Osnabrück, nach Schalke habe ich dann fast alle Saisonspiele gemacht.

In der Zeit von 1990 bis 1997 hast du das Eintracht-Dress übergestülpt. Gibt es ein Spiel, welches dir besonders in Erinnerung geblieben ist? 

Es gibt zwei Spiele. Das erste war in La Coruna, die zu der damaligen Zeit Tabellenführer in Spanien waren. Eine sehr starke Truppe. Es hat geregnet, der Platz war sehr tief. In diesem Spiel haben wir gekämpft und sind über uns hinausgewachsen. Nach einem 1:0-Heimsieg haben wir auch dort mit einem Tor Unterschied gewonnen. Dieses Spiel ist mir im Gedächtnis geblieben. Auf der negativen Seite überwog das Spiel gegen Schalke, in dem wir unseren Abstieg besiegelten… Das Spiel werde ich definitiv auch nie wieder vergessen.

Auf Stepi folgte Horst Heese als Trainer, dem rund ein halbes Jahr nach deiner Premiere ein folgenschwerer Wechsel unterlaufen ist. Du wurdest nach etwa 20. Minuten ausgewechselt. Doch damals standen mit Jay-Jay Okocha, Tony Yeboah und Kachaber Zchadadse bereits drei Ausländer auf dem Platz. Marek Penksa war der vierte, was zu damaligen Zeiten nicht erlaubt war. Sportlich habt ihr das Spiel mit 5:2 gewonnen, doch das Spiel wurde letztlich am Grünen Tisch mit 2:0 und zwei Punkten für Bayer Uerdingen aufgrund des Wechselfehlers gewertet. Wie hast du die Situation wahrgenommen? War euch das schon auf dem Platz bewusst, dass da ein Fehler unterlaufen ist?

Mir hat Heiko Laeßig damals das ganze Gesicht aufgeschlitzt, sodass ich nur noch wenig davon weiß. Die Narbe habe ich bis heute noch. Im Krankenhaus bin ich in eine plastische Chirurgie gekommen, der Arzt hat mich noch gut hingekriegt (lacht). Im Nachhinein habe ich erfahren, dass Horst Heese Marek eingewechselt hat. Den vierten Ausländer. Tony hat seine drei Tore behalten, weshalb er sich am Ende der Saison die Torjägerkanone abholen konnte. Das war wichtig (lacht).

Mit Spielen für die Eintracht, den MSV Duisburg, den 1. FC Kaiserslautern, Wacker Burghausen und 1860 München kommst du auf über 280 Spiele in den ersten beiden höchsten deutschen Spielklassen. Was war das Kurioseste, was du als Spieler je erlebt hast?

Das Verrückteste im positiven Sinne war Jay-Jay. Da waren schon einige verrücktere Sachen auf dem Platz dabei. Manche Europacupreisen in meiner Anfangszeit, wie nach Dnipropetrowsk, die waren auch schon sehr kurios.

Durch deine Tätigkeit in der Fußballschule kriegst du Einblicke in die Jugendarbeit.  Was läuft in anderen Ländern besser als in Deutschland? Was sollte sich deiner Meinung nach hier verändern?

Was mir definitiv nicht gefällt ist die Entwicklung zum Athletikfußball. In Deutschland sieht man immer sehr athletische Spieler, die schnell und kräftig sind. Da kommt die Arbeit mit dem Ball etwas zu kurz. Die Technik und das Fußballspielen wird vergessen. Die Spanier machen es aktuell wieder vor – obwohl sie zwar auch athletisch gebaut sind, können sie toll mit dem Ball umgehen und haben auf engstem Raum immer wieder neue Lösungen parat. Sie sind schnell im Kopf und technisch stark. In Spanien wird bisschen mehr auf das Spielerische geachtet als in Deutschland.

Was kannst du jungen, ambitionierten Nachwuchskickern mit auf ihren Weg geben? Welche Charaktereigenschaften brauchen sie, um es bis ganz nach oben zu schaffen?

Arbeitswillen und Fleiß. Talent allein reicht nicht. Man muss an den guten, als auch an den schlechten Sachen arbeiten. Und ganz wichtig: Geduld haben. Die Chance muss nicht mit 17, 18 Jahren kommen. Es gibt Jungs, wie Edgar Schmitt, die sind mit 28 Jahren erst Profi geworden. Die Möglichkeit besteht immer, aber man muss arbeiten und an sich glauben.

Nach deiner Karriere warst du Trainer bei der U17 des FSV Frankfurt, bist mit dem gleichen Jahrgang in die U19 hochgegangen. Von 2013 bis 2015 warst du zudem bei Viktoria Aschaffenburg Cheftrainer. War das vorgesehen, nach der Spielerkarriere die Trainerrichtung einzuschlagen?

Nach meiner Karriere habe ich die A-Lizenz in Belgrad gemacht und war dann ein halbes Jahr Sportdirektor beim FK Laktasi in Bosnien. Als Spieler war ich immer froh, auf dem Platz zu stehen und wollte das dann auch nach der Karriere tun. Nach der Zeit in München ging es zurück nach Frankfurt, wo ich über Stepi erfuhr, dass der U17-Trainer beim FSV weg ist. Die haben mich kontaktiert und ich habe die Mannschaft übernommen. Das war ein sehr guter Jahrgang, wir stiegen zweimal auf. Von da aus ging es zur Viktoria Aschaffenburg.

Welche Fähigkeiten muss ein guter Trainer mitbringen?

Man muss echt gute Nerven haben (lacht)!

Welche zukünftige Entwicklung wünscht du dir für den deutschen Fußball und den Fußball im Allgemeinen?

Zum einen würde ich versuchen, den Einsatz des Videoassistenten zu verbessern, indem man Trainer mitreden lässt und ihm drei Mal pro Spiel die Möglichkeit gibt, sich eine Entscheidung anzuschauen. Bei diesem Thema wird man es nie allen recht machen können. Zum anderen würde ich die Regionalligen, so wie sie jetzt sind, abschaffen. Lieber zwei große Regionalligen, aufgeteilt in Nord und Süd, anstatt fünf. Aktuell sind es hohe Kostenfaktoren für die Vereine, die sie meistens nicht tragen können. Die Auflagen der Verbände sind zu hoch. Wenn man dann in den Oberligen mehr Derbys hätte, dann wären auch mehr Zuschauer da. Die Vereine hätten mehr Einnahmen und wären gesünder aufgestellt.

Zum Abschluss: Was war dein schönster Moment mit Eintracht Frankfurt?

Das war mit Abstand mein erstes Bundesliga-Tor, damals per Kopf gegen Bayern München. Es lief die Saison 1994/95, wir lagen kurz vor Schluss mit 2:3 in München hinten. Per Kopf konnte ich Oli Kahn überwinden und zum Ausgleich treffen.