08.01.2024
Fussballschule

„Mentalität schlägt Qualität“

In einer Serie stellen wir die Trainer der Fußballschule vor. Heute: Alex Conrad, waschechter Frankfurter, zweimal Deutscher Meister mit der SGE – aber auch mit schweren Rückschlägen in seiner Profilaufbahn.

Redaktion: „Alex, kürzlich haben wir mit deinen ehemaligen Teamkollegen Holger Friz, Manfred Binz und Armin Kraaz zusammengesessen und über die Deutsche A-Junioren-Meisterschaft 1983 gesprochen, die sich zum 40. Mal gejährt hat. Das Besondere: Es war ein Team, aus dem zahlreiche Spieler auch Profis geworden sind. Was hat die Jugendarbeit bei der Eintracht damals ausgemacht?“

Alex: „Die Eintracht hatte damals eine sehr gute Jugendarbeit. Unser Trainer Klaus Mank und Otto Müller kannten jeden guten Frankfurter Jugendspieler. Sie haben uns schon in der D-Jugend beobachtet und waren die ersten Scouts, wenn man so will.“

Redaktion: „Du sprichst es an, mit 14 Jahren bist du vom BSC Schwarz-Weiß 1919 Frankfurt zur Eintracht gewechselt.“

Alex: „Bei BSC hatten wir damals eine starke Mannschaft. Wir wollten in die höchste Jugendliga aufsteigen, sind aber in der Aufstiegsrunde gescheitert. Die Eintracht hatten wir mit 3:0 geschlagen, da spielte ich im jungen Alter zusammen mit Typen wie Andy Möller oder Andraz Iglesias. Der FSV Frankfurt, von dem ich damals zum BSC wechselte, hatte Interesse bekundet. Doch nach Saisonende ging es zusammen mit sechs, sieben Spielern zur Eintracht. Selbst unser Trainer und der spätere Manager Klaus Gerster wechselte die Farben und wurde Adlerträger.“

Redaktion: „Dann ging eine unglaublich erfolgreiche Jugendzeit bei der Eintracht für dich los. Deutscher Vizemeister 1982 mit der B-Jugend, 1983 und 1985 hast du sogar mit der Eintracht die Deutsche A-Jugendmeisterschaft geholt. Wie sind deine Erinnerungen an diese Zeit?“

Alex: „Ich erinnere mich an alle drei Titelkämpfe sehr gut. Als wir 1982 Vizemeister wurden, spielten wir im Halbfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern. Das Hinspiel endete in Frankfurt 0:0. Im Rückspiel brillierte Manni Binz, der den Finaleinzug mit einem Dreierpack besiegelte. Schon damals konnte man seine Klasse sehen. Zu diesem Zeitpunkt spielte ich in der B2-Jugend, also im jüngeren Jahrgang, und durfte mich bei den Älteren beweisen. Kurios war aber, dass ich in der Hinrunde im Sturm eingesetzt wurde. Doch irgendwann lief es spielerisch nicht so gut, weshalb ich zum Innenverteidiger umgeschult wurde. Prompt wurden meine Leistungen besser. Als Innenverteidiger spielte ich dann in der B1-Jugend um die Meisterschaft. Im Finale war Michael Skibbe für Wattenscheid 09 aktiv, schoss dabei zwei Buden gegen uns. Sie bezwangen uns mit 3:1.“

Redaktion: „Ein Jahr später warst du mit der A-Jugend wieder im Finale.“

Alex: „Wir spielten in Marburg vor 10.000 Zuschauern gegen den 1. FC Köln, Christoph Daum stand im Finale an der Seitenlinie der „Geißböcke“. Bernhard Trares erzielte mit einem Traumtor die Führung, Holger Friz erhöhte im Laufe der Partie. Damals wurde ich als B-Jugendlicher bei den A-Junioren eingesetzt, betrat nach dem ersten Treffer für Manni Binz das Spielfeld. Trotz dessen, dass ich teils zwei Jahre jünger als der Rest war, haben mich die Jungs toll aufgenommen. Nach dem Finalsieg haben wir auch ordentlich in „Alt-Sachs“ gefeiert. Das war eine richtige Gemeinschaft.“

Redaktion: „Finale Nummer drei dann 1985, in deinem letzten A-Jugend-Jahr.“

Alex: „Unsere Mannschaft war das „Non-plus Ultra“. In der Landesliga haben wir jedes Spiel gewonnen und standen im Halbfinale. Das Hinspiel haben wir völlig überraschend mit 0:3 in Stuttgart gegen den VfB verloren. Das Rückspiel in Höchst hatte es richtig in sich. Bei 35 Grad Celsius drehten wir den Spieß um. Dem VfB schenkten wir fünf Dinger ein. Im Finale ging es in Mannheim gegen Bayer 04 Leverkusen. Das Spiel entschieden wir mit 4:2 für uns und wurden erneut Deutscher A-Jugendmeister. Zu dem Zeitpunkt war Dietrich Weise Trainer der Seniorenmannschaft und schaute zu. Er hat sich immer extrem gekümmert, auch um die eigene Jugend.“

Redaktion: „Und dir dann zum Profidebüt verholfen.“

Alex: „Ich war zu diesem Zeitpunkt noch A-Jugendspieler. Wir spielten in Uerdingen mit den zwei Funkel-Brüdern, die Partie endete 1:1. Kurz vor Schluss bin ich für Cezary Tobollik eingewechselt worden. In der Saison darauf, 1985/86, habe ich mein Startelfdebüt gegeben, gegen Waldhof Mannheim am vierten Spieltag. Das wurde schnell zur Regelmäßigkeit, doch in Bremen kam Anfang Oktober der erste Kreuzbandriss, den ich damals aber nicht merkte. Selbst eine Woche darauf spielte ich gegen Borussia Mönchengladbach die Partie durch, hatte am nächsten Morgen höllische Schmerzen und ein dickes Knie. Dann ging es los: Erst das Punktieren beim Doktor, dann der Ausfall von sieben, acht Monaten …“

Redaktion: „Bei einem Kreuzbandriss blieb es nicht. Mehrere schwere Verletzungen am Knie und Schienbein haben deine Karriere in Gefahr gebracht.“

Alex: „Nach dem ersten Kreuzbandriss kämpfte ich mich zurück, wurde dann aber von einem dreifachen Bänderriss im Sprunggelenk in einem Testspiel im Trainingslager aufgehalten. Nach einer viermonatigen Pause stieg ich wieder ins Mannschaftstraining ein. Bei einer Trainingseinheit am Riederwald erlitt ich meinen zweiten Kreuzbandriss. Dort stellte sich heraus, dass das Material im Knie aus der ersten OP nicht gut war, woraufhin ich 20 Monate ausfiel. Nach der Genesung wollte ich bei der Eintracht ins Mannschaftstraining einsteigen, doch die Verantwortlichen wollten, dass ich zu den Amateuren gehe. Reinhard Saftig ließ mich damals beim BVB mittrainieren, die mich kurze Zeit später unter Vertrag genommen haben, nachdem sich ein wichtiger Spieler verletzt hat. 1989 wurde der BVB Deutscher Pokalsieger, doch fortan lief es bei „Schwarz-Gelb“ nicht, weshalb ich die Chance bei der Eintracht priorisiert habe. Zur Saison 1989/90 gelang der Wechsel zur SGE, die mich sofort an Hessen Kassel in die Zweite Liga verliehen hat.“

Auch diese Zeit startete mit einer Hiobsbotschaft.

Alex: „Dort erlitt ich am ersten Spieltag der neuen Saison einen Schien- und Wadenbeinbruch, musste wieder operiert werden und setzte aus. Nach der Genesung folgte der Anschluss an die Amateure der Eintracht, bei denen ich mit Ronny Borchers zusammenspielte. Unter Steppi kam ich auf einen Einsatz bei der ersten Mannschaft, spielte 1991/92 mit Diddi Roth, Uwe Bein und Tony Yeboah. Nach der Saison wechselte ich zum FSV Frankfurt in die Oberliga, mit dem ich nach zwei Jahren aufstieg. Dort fand ich zu meinen Leistungen zurück, erlitt jedoch 1994/95 meinen dritten Kreuzbandriss, der Erste im linken Knie. Diesen ließ ich nicht operieren, startete hingegen einen Selbstversuch und spielte ohne Kreuzband. Das ging etwa zwei Jahre gut, bis ich 1997 in der Hessenliga mein Karriereende mit 31 Jahren – nach einer weiteren Knieverletzung – noch auf dem Platz bekanntgab.“

Redaktion: „Was machen solche Verletzungen mit jungen Sportlern und welche Tipps kannst du an Verletzte weitergeben?“

Alex: „Man muss immer versuchen, sich durchzukämpfen. Verletzungen machen immer etwas mit einem, in Körper und Geist. Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, sich Hilfe von außen zu holen, mentale Hilfe. Nach jeder Verletzung wirst du vorsichtiger, gehst nicht zu 100 Prozent in die Zweikämpfe oder ziehst nicht durch. Mentale Hilfe kann dabei enorm helfen, denn im Leistungssport musst du immer abliefern.“

Redaktion: „1998 war deine erste Trainerstation bei der Usinger TSG. Was war dein Ansporn, Trainer zu werden?“

Alex: „Einen großen Teil dazu beigetragen hat Ramon Berndroth, der mein Trainer bei den Eintracht-Amateuren war. Er sagte mir, dass ich ein gutes Spielverständnis habe, allerdings an meiner Kommunikations- und Ausdruckfähigkeit arbeiten muss. Mit 31 Jahren wurde ich Trainer in der Gruppenliga in Usingen. Schon im Jahr zuvor hat mich Berti Vogts zu einem Lizenzspielerlehrgang eingeladen. Nach drei Jahren an der Seitenlinie der TSG holte mich Peter Rübenach in die Oberliga, nach Klein-Karben, zum heimischen KSV. Dort merkte ich den ersten richtigen Fortschritt als Trainerperson. 2004 spielte ich das erste Mal mit einer Viererkette. In diesem System spielten vielleicht drei, vier Mannschaften, doch es bewährte sich. Mit dem KSV marschierten wir im Hessenpokal bis ins Finale, scheiterten aber unglücklich am SV Darmstadt 98. Gleichzeitig war ich im DFB-Stützpunkt als Trainer aktiv, arbeitete dort mit Kosta Runjaic zusammen, der mittlerweile Cheftrainer in der ersten polnischen Liga ist. Das war mein erster Kontakt mit Jugendfußballern.“

Redaktion: „Nach drei Jahren in Klein-Karben ging es weiter zum Waldhof Mannheim, 1. FC Eschborn, Kickers Offenbach und zum FSV Frankfurt. Was war dein größter Erfolg in dieser Zeit?“

Alex: „2008/09 stiegen wir mit Waldhof in die Regionalliga auf. Interessant ist aber, wie mein Engagement dort zustande kam.“

Redaktion: „Bitte.“

Alex: „Nach den drei Jahren in Klein-Karben hospitierte ich im September 2007 bei Ajax Amsterdam. Während dieser Hospitation klingelte mein Telefon, der SV Waldhof rief an. Ich fuhr aus Amsterdam direkt nach Mannheim, wo ich Cheftrainer in der Oberliga wurde. Eine Saison später, 2008/09, wurde die Regionalliga Südwest eingeführt und wir stiegen auf.“

Redaktion: „Was war das Verrückteste, was du jemals im Fußball erlebt hast?“

Alex: „Das war Mitte der 1990er Jahre, als ich beim FSV Frankfurt war. Wir spielten im Ludwigspark gegen Saarbrücken, 2. Liga. Die Halbzeitpause war vorbei und der Schiedsrichter pfiff die Begegnung an. Aber ohne Torwart! Der Ball rollte und plötzlich fiel dem Schiedsrichter auf, dass der FSV-Torhüter noch nicht an seinem Platz war. Postwendend kam unser Goalie wild gestikulierend aus der Kabine angelaufen. Diesen Moment werde ich nicht vergessen.“

Setzt‘ euch Ziele, sowohl sportlich, als auch mental, bleibt‘ fokussiert.

Alexander Conrad.

Redaktion: „Seit 2020 bist du eine wichtige Säule der Fußballschule, unterstützt bei Camps und im Talenttraining. Darüber hinaus besitzt du die Fußballlehrer-Lizenz. Was kannst du talentierten Nachwuchskickern mit auf ihren Weg geben?“

Alex: „Wichtig ist, dass man immer dranbleibt und sich verbessern will. Setzt‘ euch Ziele, sowohl sportlich, als auch mental, bleibt‘ fokussiert. Die Ziele sollten natürlich immer realisierbar und nicht unrealistisch sein. Sicherlich gehört auch das nötige Quäntchen Glück dazu, oftmals schlägt Mentalität Qualität. Man kann sich Glück aber auch ein Stück weit erarbeiten. Deswegen sollten gerade junge Kickerinnen und Kicker demütig bleiben und das nötige Durchhaltevermögen an den Tag legen.“

Redaktion: „Was muss deiner Meinung nach ein Trainer mitbringen, um den Sprung ins Profigeschäft zu schaffen? Welche Charaktereigenschaften muss er an den Tag legen?“

Alex: „Heutzutage sollte ein guter Trainer eine Idee oder Spielphilosophie haben. Was willst du sehen von deiner Mannschaft? Gerade junge Trainer benötigen diesen nötigen Biss, um dranzubleiben. Aber auch immer offen sein für Neues, Neues zu lernen und zu erlernen, „Learning by Doing“. Ein weiterer wichtiger Begriff ist Authentizität. Authentisch sein ist gerade in der heutigen Zeit enorm wichtig.“

Redaktion: „Welche zukünftige Entwicklung wünscht du dir für den deutschen Fußball und den Fußball im Allgemeinen?“

Alex: „Ich würde mir wünschen, dass man auch im Fußball einfach ‚nein‘ sagt und gewissen Dingen widersteht. Der Fußballkern sollte immer zusammenstehen. Sicherlich müssen da welche vorangehen, aber ich versuche möglichst langfristig zu denken. Ich bin für eine gesunde Entwicklung im Fußball. Aber es gibt gewisse Dinge, die definitiv abgelehnt werden sollten. Beeindruckend fand ich das Statement des FC St. Pauli, die kurzerhand Berater aus ihrem Nachwuchsleistungszentrum ausgeschlossen haben. Die haben ein Statement gesetzt. Was dabei rumkommt, wird sich noch zeigen. Aber sie haben ein Signal gesetzt.“

Redaktion: „Was war dein schönster Moment mit Eintracht Frankfurt?“

Alex: „Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich bin in der Schäfflestraße am Rande des Riederwalds aufgewachsen, habe in meiner Kindheit Autogramme von Grabi und Holz gesammelt und war dann später Balljunge bei der Eintracht. So auch beim UEFA-Cup Spiel gegen PAOK Saloniki 1981. Wenn ich zurückschaue, war mein schönster Moment mit der Eintracht mein Startelfdebüt in der Bundesliga gegen Waldhof Mannheim. Das waren die Anfangsmomente im Seniorenbereich, in denen man den Druck als junger Kerl nicht mitkriegt. Das war eine tolle Zeit.“