19.05.2014

Willkommene Botschafter

Die Eintracht Frankfurt Fußballschule pflegt einen regen Austausch mit einem Nachwuchsprojekt in China – beide Seiten inklusive Bundesliga profitieren

Bei dieser Frage schmunzelt ­Cezary Tobollik (52): Welchen Fortschritt macht der Fußballnachwuchs im Reich der Mitte? „Die Kids dort müssen noch einiges aus dem Einmaleins lernen, aber deshalb sind wir ja auch dahin geflogen.“ Der ehemalige polnische Profi, der zwischen 1983 und 1985 insgesamt 42 Bundesliga-Spiele bestritt, gerät ansonsten ins Schwärmen, wenn er von der dritten Chinareise der Eintracht Frankfurt Fußballschule spricht. Zehn Tage lang – vom 28. März bis zum 6. April – gab ein Trainerquintett wieder sein Wissen an 120 Kinder der ­Active Kidz Shanghai (AKS) weiter. „Eine außergewöhnliche Erfahrung“, sagt Tobollik. „Die Kinder waren dankbar für jeden Tipp.“ Und davon hat der frühere Eintracht-Stürmer passenderweise noch genügend parat.

Die Kooperation geht zurück auf den Bruder von Heribert Bruchhagen, Vorstandsvorsitzender der Eintracht Frankfurt Fußball AG und Vorstandsmitglied des Ligaverbandes, der wiederum mit Stefan Kohlmeyer aus dem AKS-Vorstand befreundet ist. Kohlmeyer hinterlegte das Interesse, mit Hilfe des Bundesligisten ein professionelles Fußballcamp auf die Beine zu stellen. Im Juni 2013 flog ­Clemens Appel, seit elf Jahren der Projektkoordinator der Fußballschule, zusammen mit dem Ex-Profi Thomas Zampach nach Schanghai, um dort dem in China größten internationalen Breitensportverein mit 3.000 Kindern aus 60 Nationen, von denen 1.000 Fußball spielen, einen ersten Besuch abzustatten.

„Wir haben dann in einem Hotel eine erste Schulung für rund 40 Trainer durchgeführt“, erzählt Appel. „Die meisten waren Eltern der fußballbegeisterten Kinder ohne große sportliche Vorbildung.“ Das Duo stieß bei der Vorstellung seiner Trainingsmethodik auf offene Ohren in einer Gemeinschaft, die zwar bereits durch den Sport vereint war, sich aber offensichtlich noch nach Leitplanken sehnte. Denn eine Infrastruktur für den Fußball wie in Europa besteht in China nicht. Und außer der einzigen Profiliga, der Chinese Super League, gibt es keinen geordneten Spielbetrieb.

Die Defizite zeigen sich auch in der Alltagsarbeit. Der 49-jährige Appel erinnert sich noch an die ersten Einheiten im Hochsommer, als viele der japanischen, koreanischen, australischen, kanadischen oder deutschen Kids große Augen machten: „Als Erstes haben wir die Übungen ohne Ball abgeschafft. Dort wurde viel im athletischen Bereich trainiert, das ist aber totaler Unfug in dieser Altersklasse.“ Erste Erfolge stellten sich ein, weil es allen – mit Ball – nun viel mehr Spaß machte.

„Charly“ Körbel sieht Zukunftschancen

Im August 2013 kamen ein Dutzend Kinder und einige Offizielle – darunter die umtriebige finnische AKS-Organisationsleiterin Miia Kauppila – zu einem Gegenbesuch nach Frankfurt. Nur einen Monat später reiste die erste fünfköpfige Frankfurter Trainergruppe nach China, um zwei Camps in Stadtteilen von Schanghai – eines in Puxi, eines in Pudong – für die Kicker im Alter zwischen 4 und 16 Jahren durchzuführen. Eine Lehrstunde auch für die deutsche Delegation, die sich vor allem an die gewaltigen Ausmaße der pulsierenden Metropole gewöhnen musste. „Alleine die Fahrt vom Hotel zum Trainingsplatz verschlingt 40 Minuten“, sagt Appel, dem der Großraum des weltweit bedeutsamen Wirtschaftsstandortes im Vergleich mit der Frankfurter Skyline so vorkommt, „als ob Hochhäuser von Aschaffenburg bis Wiesbaden reichen“. 

Die Fußballlehrer der Eintracht überzeugten vor Ort so sehr, dass Thomas Ochs das Angebot unterbreitet wurde, die sportliche Leitung bei AKS zu übernehmen. Der 28-Jährige – Sohn des Eintracht-Physiotherapeuten Ralf Ochs – überlegte nicht lange und sagte zu. Bundesliga-Rekordspieler Karl-Heinz „Charly“ Körbel, Leiter der Eintracht Frankfurt Fußballschule, sieht darin „eine Bestätigung unserer Arbeit“ und sagt: „Die Zusammenarbeit ruft bei allen Beteiligten eine große Begeisterung hervor.“ Das Motto „Mit Spaß und Freude Fußball (er)leben“ könne somit „in die Welt transportiert werden“.

Erst kürzlich bedankte sich AKS-Vorstand Kohlmeyer mittels einer E-Mail. Eltern und Kinder hätten die Eintracht-Entourage „wie alte Freunde“ empfangen: „Dank der tatkräftigen Unterstützung kann AKS jetzt mit Fug und Recht behaupten, das beste Fußballprogramm in Schanghai anzubieten. Aus eigener Kraft hätten wir das nie geschafft.“ Der nächste Gegenbesuch ist Mitte August fix terminiert, ehe Ende September das vierte Camp in Schanghai startet. Dieser rege Austausch besitzt inzwischen auch einen strategischen Hintergrund. „Für die Zukunft ist der asiatische Markt für Eintracht Frankfurt auch über die Fußballschule hinaus attraktiv, um die Marke noch bekannter und populärer zu machen“, sagt „Charly“ Körbel. Eine Botschafterrolle also, die auf die gesamte Bundesliga zutrifft.

(Quelle: Bundesliga-Magazin, Ausgabe Juni 2014, Text: Frank Hellmann)