16.02.2024
Fussballschule

„Wir brauchen wieder mehr Emotionen“

Manfred Binz holte in der Jugend und als Profi Titel mit der Eintracht, heute ist er bei der Fußballschule und der Tradi im Einsatz. Im Interview spricht er über den DFB-Pokalsieg 1988.

Redaktion: „Manni, fangen wir mal ganz vorne an. Wie bist du zum Fußball gekommen? Erzähl‘ uns über deine ersten fußballerischen Schritte, wo sie waren und wie du den Fußball und die Eintracht in deiner Jugendzeit wahrgenommen hast?“

Manni: „Als Kids waren wir schon im jungen Alter sehr oft auf dem Bolzplatz kicken. Mit Fußball angefangen habe ich mit vier oder fünf Jahren, damals beim VfR Bockenheim. Zunächst war ich Stürmer, das hat sich mit der Zeit aber geändert.“

Redaktion: „Mit 14 Jahren bist du vom damaligen VfR Bockenheim zur Eintracht gewechselt. Wie kam der Wechsel vom VfR zur Eintracht zustande?“

Manni: „Ich hatte mehrere Angebote vom FSV Frankfurt, die ich allerdings abgelehnt hatte. Otto Müller, Holger Müllers Vater [Anm. d. Red.: ehemaliger Nachwuchskoordinator am NLZ], war einer der ersten Scouts hier in Frankfurt. Er kannte alle talentierten Jugendspieler im Frankfurter Raum. Über ihn kam der Kontakt zustande und ich bin dann vom VfR Bockenheim in die U15 von Eintracht Frankfurt gewechselt.“

Redaktion: „Wie erinnerst du dich an die Jugendzeit bei der Eintracht?“

Manni: „Das war eine sehr erfolgreiche Zeit. Mit der U15 wurde ich gleich im ersten Jahr Süddeutscher Meister, mit der U17 Deutscher Vizemeister und mit der U19 Deutscher Meister. Wir hatten einen starken Jahrgang, aus dem es später einige in den Profifußball geschafft haben.“

Redaktion: „Unter Trainer Klaus Mank wurdest du wie erwähnt Deutscher U19-Meister. Wie war er als Mensch und Trainer?“

Manni: „Persönlich war ich in einer wilden Phase, mit 17, 18 Jahren steckst du noch halb in der Pubertät. Am Anfang hatten wir die eine oder andere Meinungsverschiedenheit, doch er zog mich aus der damaligen U18 in die U19 hoch – quasi als jüngeren Jahrgang. Zeitgleich wurde ich in die erste Junioren-Nationalmannschaft einberufen, in die damalige U18. Das war schon etwas Besonderes für mich.“

Redaktion: „Wie waren die Anfänge bei den Senioren?“

Manni: „Von der U19 ging es zunächst zu den Amateuren, wo Herbert Dörenberg mein Trainer war. Dieser hat mich umpositioniert, plötzlich spielte ich auf der Liberoposition. Im zweiten Jahr war das – auf Anweisung von Dietrich Weise – vorbei und ich kehrte zurück ins Mittelfeld. Schließlich war es dann Weise, der mich in die erste Mannschaft hochgezogen hat.“

Redaktion: „Besonders am Anfang musstest du als junger Kerl um Einsatzzeiten kämpfen. Woran lag das?“

Manni: „Aller Anfang ist schwer. Die Reise ging für mich in der Saison 1986/87 so richtig los, als die erste Mannschaft sechs, sieben Verletzte hatte. Dann rief mich Dietrich Weise an und nominierte mich ins Trainingslager nach. In der ersten Saison absolvierte ich gleich 32 Spiele für die Eintracht.“

Er hat mir förmlich die Hörner langgezogen!

Manni Binz über seinen ehemaligen Trainer Dietrich Weise.

Redaktion: „Dietrich Weise hat viele junge Spieler nach oben gezogen, die Weise-Bubis waren 1984 die Garanten für den Klassenerhalt. Wie war euer Verhältnis?“

Manni: „Dietrich hat sehr auf Disziplin geachtet. Anfangs hatten wir leichte Probleme, weil ich die Jugend noch in mir drin hatte. (lacht) Aber er hat mich geradegebogen und mich schnell auf die Füße gestellt. Er hatte immer tolle Vorstellungen von Fußball und hat auf die Jugend gesetzt. Er war einer der ersten Trainer, die damals schon mit Laktattests gearbeitet haben. Er hat mir förmlich die Hörner langgezogen! Nur Talent langt nicht, man muss es herauskitzeln.“

Redaktion: „In der Zeit bei der Eintracht ist dir der Rekord von 246 Spielen am Stück (ohne Verletzung oder Rote Karte) gelungen. Wie hast du das geschafft? War dir in den Spielen bewusst, du würdest einen neuen Rekord aufstellen?“

Manni: „Mein Ziel war es, immer zu spielen. Den Rekord hatte ich nie im Blick.“

Redaktion: „1988 hast du mit der Eintracht den DFB-Pokal gewonnen – unter anderem der größte Erfolg in deiner Karriere. Wie sind deine Erinnerungen an diese Saison?“

Manni: „Der Pokalsieg war natürlich sensationell. Ich erinnere mich noch gut an das Viertelfinale. Da schoss Lajos Detari ein Traumtor gegen Uerdingen. Nach dem Heimsieg gegen Bayer 05 ging es im Halbfinale nach Bremen. Werder war in den 90 Minuten klar die bessere Mannschaft und hätte normalerweise die Partie klar gewinnen müssen, aber Uli Stein war in einer top Verfassung und hat alles gehalten. Dann machte Frank Schulz das 1:0 und es war geschehen, wir standen im Pokalfinale.“

Redaktion: „Gegen den VfL Bochum, zum ersten Mal mit der Eintracht in Berlin.“

Manni: „Rund 25.000 Adlerträger nahmen den weiten Weg auf sich. Ich kann mich noch sehr gut an das Fahnenmeer der Eintracht-Anhänger erinnern. Lajos [Anm. d. Red.: Detari] entschied auch dieses Spiel zu Gunsten der Eintracht. Sein Freistoßtor zum 1:0 war phänomenal. „Charly“ und ich waren abends nach dem Spiel noch zu Gast im ZDF-Sportstudio, am nächsten Tag standen wir dann in Frankfurt auf dem Römer und haben den Pokal in die Luft gehoben.“

Redaktion: „Was waren das für Gefühle, mit dem Pokal auf dem Römer zu stehen?“

Manni: „Unbeschreiblich. Das war mein erster Titel, der mir zusätzlichen Antrieb gegeben hat, Stammspieler in der Nationalmannschaft zu werden. Rund eineinhalb Jahre später war es so weit, 1990 debütierte ich für Deutschland.“

Redaktion: „1992 dann leider das Trauma von Rostock.“

Manni: „Bis zu den letzten beiden Spielen der Saison war es eine bis dahin perfekte Saison. Wir haben guten Fußball gespielt und waren zurecht auf dem ersten Platz. Das vorletzte Spiel zuhause gegen Bremen war der Knackpunkt: Bremen gewann nur wenige Tage zuvor den Europapokal und kam mit voller Euphorie nach Frankfurt. Wir führten 1:0, dann drehte Werder das Spiel, wir kamen zum Ausgleich – doch es sollte am Ende für einen Sieg nicht reichen. Am letzten Spieltag mussten wir nach Rostock, aber schon in den Tagen zuvor merkte man intern eine gewisse Unruhe. Das Spiel selbst gaben wir aus der Hand und verloren mit 1:2. Tragödie statt Triumph.“

Redaktion: „Hast du auch nach einer solchen Saison mit negativem Ausgang trotzdem positive Schlüsse herausziehen können?“

Manni: „Der Stachel saß sehr tief und schlussendlich hinterfragt man sich, woran es gelegen hat. Viel Zeit hatte ich allerdings nicht, denn im Sommer stand die Europameisterschaft in Schweden an.“

Redaktion: „Zwischen 1990 und 1992 hast du 14 Länderspiele für Deutschland bestritten, hast dabei ein Tor erzielt.“

Manni: „Ich habe schnell gemerkt, dass bei der Nationalmannschaft der Druck von außen, der Medienlandschaft, ein anderer ist. Mit den Jungs war ich immer gerne unterwegs. 1992 sind wir im Finale knapp an Dänemark gescheitert, sind dadurch Vizeeuropameister geworden. Kurios war, dass Dänemark für das damalige Jugoslawien zur EM nachgerückt ist, weil in dem Land Krieg herrschte – ansonsten wären sie nicht dabei gewesen. Solche Geschichten schreibt nur der Fußball.“

Redaktion: „Ein ‘Zerwürfnis‘ mit Trainer Klaus Toppmöller hat deinen Rekord von 246 Spielen gebrochen. Was ist da passiert?“

Manni: „In der Zeit lief es sehr unglücklich. Klaus war ein toller Trainer, der die Mannschaft immer gepusht hat. Irgendwann stellte er mich aber auf die Sechserposition, worüber ich absolut nicht glücklich war. Ich wollte unbedingt zurück auf meine Stammposition, Libero hinten in der Abwehr, und war der Meinung, dass die Aufstellung nicht vom Trainer, sondern den Vereinsbossen beschlossen wurde. Interne Gespräche führten zu nichts, weshalb ich gehen wollte. Stattdessen wurde aber kurzfristig eine Pressekonferenz angesetzt und ich für das darauffolgende Spiel gegen Dynamo Dresden suspendiert. Das war eine eigenartige Zeit, zumal ich in der Saison darauf unter Jupp Heynckes wieder alle Spiele durchgespielt habe – auf der Liberoposition. Dennoch war die Zeit unter Klaus grandios, wir haben herrlichen Fußball gespielt und waren zwischenzeitlich Tabellenführer.“

Redaktion: „Mit wem warst du besonders gut befreundet während deiner Zeit bei der Eintracht?“

Manni: „Puh, das ist keine einfache Frage. Generell hatte ich mit allen ein sehr gutes Verhältnis. Zu meinem engeren Freundeskreis zählten Uwe Bindewald, Ralf Weber, Ralf Falkenmayer und Andy Möller.“

Redaktion: „Nach dem Abstieg der Eintracht 1996 bist du nach Italien, zu Brescia Calcio, gewechselt. Inwieweit hat sich der Fußball in Italien zum deutschen Fußball unterschieden? Was war anders?“

Manni: „Die Italiener waren uns damals zehn Jahre voraus. Als ich zu Brescia kam, hatten sie bereits zwei Athletiktrainer im Team. Taktisch wurde auch anders trainiert. „Edy“ [Anm. d. Red.: Edoardo] Reja, unter dem ich eineinhalb Jahre in Brescia spielte und in die erste Liga aufgestiegen bin, war einer meiner besten Trainer. Italien habe ich fest in mein Herz geschlossen, die Menschen sind sehr herzlich und man fühlt sich sehr wohl. Es ist eine andere Art von Leben.“

Redaktion: „Während und nach deiner aktiven Karriere wurdest du als „Musterprofi“ bezeichnet. War damals und ist heute immer noch eine gesunde Lebensweise und Ernährung für dich wichtig?“

Manni: „Während meiner aktiven Karriere habe ich mich darüber informiert, was ein Leistungssportler braucht und sehr darauf geachtet, was ich zu mir nehme. Heute ist es nicht mehr ganz so. (lacht) Ich esse auch Mal etwas, was ich früher nicht gegessen hätte.“

Redaktion: „In der Fußballschule engagierst du dich als Trainer und arbeitest mit jungen Menschen zusammen. Was hat sich im Vergleich zu früher gesellschaftlich und sportlich verändert?“

Manni: „Früher gab es mehr Spieler der Sorte „Straßenfußballer“. Durch die Nachwuchsleistungszentren wächst heutzutage der Druck auf die Kinder, nicht nur von den Trainern, sondern auch von den Eltern aus. Auch Social Media hat einen gewissen Einfluss auf die Kids. Wichtig ist aber, dass man Kindern die nötige Zeit gibt. Wir haben in Deutschland viele Talente, allerdings brauchen sie Zeit. Die sollen sie kriegen.“

Redaktion: „Wie bist du zur Fußballschule gekommen?“

Manni: „Das war 2014, kurz nachdem ich mir die Achillessehne gerissen habe. Da war ich mit einem guten Freund im Stadion und habe zufällig „Charly“ Körbel getroffen. Er hat mich damals gefragt, ob ich Lust hätte zur Fußballschule zu kommen. Am Anfang war ich skeptisch und wusste nicht so recht, was auf mich zukommt. Im Nachhinein war das eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Camp. Das war im September 2014 am Bodensee. Ich hatte einen Termin und bin privat nachgefahren. Da hatten wir sowohl Fußballschule, als auch ein Spiel mit der Traditionsmannschaft. Das war der Anfang.“

Redaktion: „Was muss deiner Meinung nach ein Trainer mitbringen, um den Sprung ins Profigeschäft zu schaffen? Welche Charaktereigenschaften muss er an den Tag legen?“

Manni: „Wichtig ist vor allem seine Einstellung und Mentalität. Ein guter Trainer ist der Erste, der da ist und der Letzte, der geht. Er muss einen klaren Plan haben, wie er mit dem Team, welches ihm zur Verfügung steht, Fußball spielen will.“

Redaktion: „Welche zukünftige Entwicklung wünschst du dir für den deutschen Fußball und den Fußball im Allgemeinen?“

Manni: „Wir brauchen wieder mehr Emotionen. Trainer und Spieler müssen wieder das sagen dürfen und können, was sie denken.“

Redaktion: „Was war dein schönster Moment oder deine schönste Erinnerung mit Eintracht Frankfurt?“

Manni: „Es ist schwierig, sich für einen Moment zu entscheiden oder festzulegen, da gibt es eine ganze Reihe. Ganz oben steht der Pokalsieg 1988. Aber auch mein erstes Heimspiel im Waldstadion gegen Fortuna Düsseldorf werde ich nicht vergessen. Wir hatten einzigartige Spiele in Europa, egal ob gegen Sakaryaspor, Mechelen, Zürich, La Coruna, Salzburg, Turin, Lodz, Dnipropetrowsk oder wie sie alle hießen. Diese Touren bleiben unvergessen.“